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Voll verhagelt

Baumaterialien im Härtetest





Wenn der Frühling in den Sommer übergeht, dann ziehen sie wieder über die Schweiz: die Hagelgewitter. Auch im Kanton Bern verursachen einzelne Hagelzüge immer wieder Schäden in Millionenhöhe an Gebäuden. Umso wichtiger ist das Material, das verbaut wird: Je besser dessen Hagelwiderstand, desto geringer sind die Schäden nach einem Gewitter.

Doch wie findet man den Hagelwiderstand eines Materials heraus? Wir haben im Prüf- und Beratungsinstitut p+f expert AG in Oberkirch (LU) reingeschaut und Erstaunliches gesehen.







Wie Hagel entsteht

Trifft starker Aufwind in einer Gewitterwolke auf hohe Luftfeuchtigkeit, passiert es: Die Wassermoleküle gefrieren zu Eiskernen. Und sie wachsen – bis sie zu schwer sind, um dem Aufwind zu trotzen. Und dann fallen sie als Hagel aus der Wolke.



Hagelschäden im Kanton Bern

Von Hagel spricht man bei Eiskörnern ab einem Durchmesser von 5 Millimeter. Bereits ab einer Grösse von weniger als 2 Zentimeter können Schäden an Gebäuden auftreten, zum Beispiel Dellen an Lamellenstoren. Bei Hagelkörnern ab 5 oder 6 Zentimeter sind auch schwere Gebäudeschäden zu erwarten.

Durch Hagel kaputtgehen können Storen, Ziegel, Lichtkuppeln aus Kunststoff, Fotovoltaikanlagen, Abschlussbleche und sogar Fassaden.

Hagel ist unberechenbar und unvorhersehbar: In einigen Jahren gibt es viele Schäden an Gebäuden, in anderen fast keine. Und Hagel ist häufig: Im Schnitt ist er für 40 Prozent der Elementarschäden verantwortlich, die der GVB gemeldet werden (Zeitraum 2020 bis 2024).  



0 Mio.

Franken hat die Gebäudeversicherung Bern (GVB) zwischen 2020 und 2024 an Kund:innen mit Hagelschäden ausbezahlt.









0 cm

gross war das grösste Hagelkorn, das in der Schweiz gefunden wurde (1927 in Rothenburg LU).Ganze 20 cm (so gross wie ein 1-Liter-Tetrapack Milch!) mass das grösste Hagelkorn, das weltweit gefunden wurde (2010 in den USA).







70 km/h

Geschwindigkeit kann ein Hagelkorn erreichen. Welche Schäden Hagel verursacht, hängt auch von dessen Dichte ab – und in welchem Winkel er auf ein Gebäude auftrifft.

Baumaterialprüfung

Vor Ort im Prüfinstitut





Die allermeisten Hagelschäden könnten verhindert werden.

Hanspeter Weiss, p+f expert AG









Hanspeter Weiss im Interview

Der diplomierte Bau- und Fassadeningenieur sowie Experte für gebäudeintegrierte Solaranlagen übernahm im Jahr 2025 die Geschäftsführung der p+f expert AG – eines akkreditierten Prüflabors in der Schweiz, das den Hagelwiderstand von Baumaterialien prüft.





Hanspeter Weiss, was macht Hagel so unberechenbar? 

Er ist kaum vorhersehbar. Hagel kommt sehr spontan, und seine Stärke hängt von verschiedenen klimatischen Faktoren ab. Wir können die Gefahren zwar abschätzen und wissen in etwa, wann ein Hagelsturm kommt. Aber wir wissen nie genau, ob und wo das Gewitter tatsächlich durchzieht und wie heftig es sein wird.  



Im Kanton Bern hinterlassen starke Hagelgewitter regelmässig viele Schäden. Werden solche Stürme zunehmen? 

Wie sich die Gewitter in Zukunft entwickeln, wissen wir nicht genau. Es ist aber zu erwarten, dass wir in der Schweiz aufgrund der Klimaerwärmung mit häufigeren und intensiveren Hagelereignissen rechnen müssen. Im Jahr 2020 wurde die SIA-Norm 261/1 verschärft. Sie bestimmt, welcher Hagelstärke ein Gebäude standhalten muss – daran müssen sich Ingenieur:innen und Architekt:innen halten. Es zeigt sich nun jedoch, dass diese Anforderungen noch nicht ausreichen.  



In einer riesigen Halle prüfen Sie Bauteile und Materialien auf ihre Robustheit. Welche Schäden hinterlässt Hagel am häufigsten?  

Zum einen ästhetische Schäden – beispielsweise Beulen an einer Fassade. Sie stören, aber sie beeinträchtigen die Funktion eines Bauteils meist nicht. Zum andern verursacht Hagel funktionale Schäden. Etwa an einem Dach, das nach einem Gewitter nicht mehr dicht ist. Wir prüfen und klassifizieren Bauteile daher immer nach beiden Gesichtspunkten. 



Könnten Bauherrschaften Hagelschäden durch die Auswahl des richtigen Baumaterials verhindern?

Ja, ich schätze, dass dies in 90 Prozent der Fälle möglich wäre. Indem unsere Baustoffprüfer:innen herausfinden, wie hagelsicher ein Produkt ist, helfen wir Architekt:innen und Gebäudebesitzer:innen, die Risiken zu minimieren. Zu 100 Prozent ist dies jedoch nicht möglich – dies wäre auch nicht wirtschaftlich.   



Welche Materialien sind besonders hagelresistent? Welche sind heikel?

Es gibt bei allen Bauteilen gute sowie wenig geeignete Ausführungen. Viele Ziegeldächer sind besonders resistent. Blechdächer und Metallfassaden hingegen sind in ästhetischer Hinsicht eine Herausforderung. Da ist es besonders wichtig, auf geprüfte und zertifizierte Produkte zu setzen – und allenfalls Kompromisse bei der Ästhetik einzugehen. Auch Kunststoff ist heimtückisch, denn diesen testen wir im Neuzustand. Während Blech oder Ziegel auch nach 20 oder 30 Jahren noch ähnlich resistent sind, verlieren Kunststoffteile – beispielsweise in Oberlichtkuppeln – je nach Materialqualität mit den Jahren stark an Widerstandskraft. 

Wie können wir uns eine solche Materialprüfung vorstellen? 

Zuerst stellen wir in Handarbeit Hagelkörner her. Für den Prüfvorgang füllen wir die Kugeln einzeln in unsere Hagelkanone. Sie schiesst die Hagelkörner mit Druckluft im korrekten Winkel und mit der richtigen Geschwindigkeit auf vordefinierte Stellen auf dem Material. So identifizieren wir die Schwachstellen der Bauteile und finden heraus, welcher Hagelgrösse ein Material standhält. 



Beginnen Sie dabei jeweils mit dem kleinstmöglichen Hagelkorn?  

Da braucht es viel Fingerspitzengefühl und Erfahrung. Denn: Beginnen wir mit zu kleinen Eiskugeln, verbrauchen wir zu viele – und der Test wird sehr teuer. Nehmen wir hingegen schon zu Beginn eine zu grosse Kugel, geht das Bauteil kaputt.  



Hagelschäden produzieren nicht nur Kosten, sondern auch viel Abfall. Kann hagelsicheres Material zu nachhaltigerem Bauen und Wohnen beitragen?  

Auf jeden Fall. Aber wenn man möglichst hagelsicher baut, bewegt man sich in einem anspruchsvollen Spannungsfeld zwischen Materialoptimierung und Langlebigkeit.  



Hören Sie hier das ganze Gespräch:

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Hagelkörner

Handgemacht für die Hagelkanone





Ohne Munition können wir nicht hageln.

Thomas Gehrig, p+f expert AG









Thomas Gehrig im Interview

Thomas Gehrig ist gelernter Maurer und seit 18 Jahren bei der p+f expert AG als Baustoffprüfer tätig. In genormten Prüfverfahren testet er die Qualität und die Widerstandsfähigkeit von verschiedenen Baumaterialien. Eines seiner Fachgebiete: das Testen von Baustoffen auf ihre Hagelwiderstandsfähigkeit.



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Bevor getestet werden kann, müssen die Kugeln hergestellt werden. Das Eis für die Kugeln wird im Kanton Nidwalden von einem Hersteller von Eisskulpturen extra für die p+f expert AG hergestellt. Thomas Gehrig zerhackt die Blöcke zuerst in kleine Stücke. Diese Stücke werden dann in Gussformen zu den Hagelkugeln geschmolzen. Nach dem Schmelzen werden die Kugeln bei –20 °C in einer Kühltruhe gelagert. Damit die Hagelkugeln für den Test genügend ausgehärtet sind, müssen sie mindestens 48 Stunden bei –20 °C gelagert werden.





Hagelkanone

Baumaterialien unter Beschuss

Mit diesen Tipps trotzt Ihr Gebäude dem nächsten Hagelgewitter

Tipp 1

Entscheiden Sie sich für Baumaterialien, die der Hagelgefahr Ihrer Region entsprechen. Den Hagelwiderstand von über 400 Bauteilen erfahren Sie unter hagelregister.ch. Welche Hagelkorngrösse in Ihrer Region zu erwarten ist, erfahren Sie unter map.geo.admin.ch.



Tipp 2

Setzen Sie auf hochwertige Bauteile.

Einige Materialien (z. B. Kunststoff) verlieren über die Jahre an Stabilität. Resultat: Ihr Hagelwiderstand nimmt ab.

Tipp 3

Ziehen Sie die Storen bei einem Gewitter ein.

Diese sind bei Hagel viel stärker gefährdet als die Glasfenster dahinter.





Ressourcen schonen und profitieren

Nach einem Hagelgewitter sind die Storen an Ihrem Zuhause leicht eingedellt, sie funktionieren aber noch einwandfrei? Wenn Sie sich dazu entscheiden, die Storen nicht reparieren oder austauschen zu lassen, erhalten Sie von der GVB eine Minderwertentschädigung. Diese beläuft sich auf 30 Prozent des Betrags, den Sie für den Ersatz Ihrer Storen unter Berücksichtigung eines möglichen Altersabzugs erhalten hätten.